29. November 2023 / Aus aller Welt

Kein Urteil im Prozess um tödlichen Unfall auf Klassenfahrt

Eine fünfte Klasse fährt für einige Tage weg. Doch der Schulausflug endet abrupt - ein Junge stirbt. Vor Gericht wird schnell klar: Auch ein Urteil kann den Schmerz nicht nehmen.

Das Landgericht Verden verhandelte über die Schuld einer Mitarbeiterin eines Pädagogik-Zentrums nach dem Unfalltod eines Jungen.
von Mirjam Uhrich, dpa

Mit einer Hand umklammert sie ein graues Stofftier, dann schildert sie ihre Gefühle im Prozess um den tödlichen Unfall ihres Sohnes auf einer Klassenfahrt. «Wenn dein Kind stirbt, dann bekommst du lebenslänglich. Lebenslänglich, ohne jemals etwas verbrochen zu haben», sagt die Nebenklägerin mit tränenunterdrückter Stimme zu Prozessbeginn am Mittwoch. Vor mehr als vier Jahren kam ihr zehnjähriger Sohn auf dem Gelände eines Waldpädagogikzentrums in Schwaförden südlich von Bremen ums Leben. Diesen Schmerz kann auch ein Urteil nicht nehmen - das Landgericht Verden stellte das Verfahren unter Auflage vorläufig ein.

Nach Beschluss des Gerichts muss die Angeklagte eine Geldstrafe in Höhe von 4000 Euro an den Verein Kinder- und Jugendschutz Wolfsburg zahlen. Dafür habe sie vier Monate Zeit. «Wir halten es für angemessen, diesen Fall nicht mit einem Urteil zu beenden», sagt der Vorsitzende Richter. Die Staatsanwaltschaft hatte der Mitarbeiterin eines Waldpädagogikzentrums fahrlässige Tötung durch Unterlassen vorgeworfen.

Das Unglück ereignete sich laut Anklage im Juli 2019 bei einem Schulausflug einer fünften Klasse aus Wolfsburg. Nach einer Frühstückspause im Freien tobten demnach zehn Kinder auf einer Lore auf dem Gelände des Waldpädagogikzentrums herum. Sie kletterten darauf herum, spielten auf den Schienen. Dabei soll der Zehnjährige hingefallen und von dem 400 Kilogramm schwere Wagen auf Brusthöhe überrollt worden sein. Er starb noch an der Unfallstelle.

Die fahrbereite Lore entsprach nicht den Sicherheitsvorschriften, wie die Staatsanwaltschaft kritisiert. Sie sei nicht als Spielgerät zugelassen. Als die Mitarbeiterin des Waldpädagogikzentrums die 28 Kinder und ihre 2 Lehrkräfte nach der Ankunft das Gelände gezeigt habe, habe sie die Lore mit keinem Wort erwähnt. «Die Angeklagte hätte das Spielen verbieten beziehungsweise auf die Gefahren hinweisen müssen», sagt die Staatsanwaltschaft.

Angeklagte: Sofort zwei Notrufe abgesetzt

Die Angeklagte zeigt vor Gericht Bedauern. «Ich habe mit einem solch tragischen Ereignis nicht gerechnet und es schlicht nicht für möglich gehalten», lässt die Försterin über ihren Verteidiger verlesen und kann dabei selbst die Tränen nicht zurückhalten. Die Lore werde schon seit vielen Jahren als Sitzgelegenheit genutzt, lange bevor sie dort überhaupt angefangen habe zu arbeiten.

Die 35-Jährige habe gerade mit ihrem Team Pause gemacht, als die Lehrkräfte und einige Schüler um Hilfe riefen, heißt es in der Erklärung der Angeklagten weiter. Sie habe sofort zwei Notrufe abgesetzt, einen Erste-Hilfe-Koffer geholt und sei zur Unglücksstelle gerannt. Mit einem Kollegen habe sie noch abwechselnd versucht, den Jungen zu reanimieren. «Leider waren unsere Bemühungen vergeblich.» Die Klassenfahrt wurde abgebrochen.

Dann begannen nach Angaben des Gerichts aufwendige Ermittlungen: Die Gerichtsmedizin untersuchte die Leiche des Jungen, die Polizei befragte Klassenkameraden. Doch wer trägt die Verantwortung für den Unfall? «Grundsätzlich kommen fünf Personen in Betracht», sagt der Vorsitzende Richter bei der Verhandlung: die beiden Lehrkräfte, der Leiter des Forstamtes und zwei Mitarbeiter des Waldpädagogikzentrums. Die Staatsanwaltschaft verfasste mehrere Anklagen, am Ende blieb das Verfahren gegen die 35-Jährige als Leiterin der Mehrtagesbetriebs am Waldpädagogikzentrum übrig.

Und auch in dem Prozess wird es nie ein Urteil geben. «Das ist ein Schlag ins Gesicht», sagt der Vater des Zehnjährigen, der mit seiner Frau als Nebenkläger auftritt. Er schüttelt den Kopf, dann stürmt er aus dem Gerichtssaal und schlägt die Tür hinter sich zu. Der Beschluss ist nicht anfechtbar.


Bildnachweis: © Mohssen Assanimoghaddam/dpa
Copyright 2023, dpa (www.dpa.de). Alle Rechte vorbehalten

Meistgelesene Artikel

Hänky Pänky steht in den Startlöchern
Stadtmarketing Rietberg

Rietberger Straßenmusik-Festival steigt am 7. September Rietberg. Auf richtig viel gute Musik können sich Besucher am...

weiterlesen...
Sechs neue Auszubildende bei den Rietberger Möbelwerken
Aktueller Hinweis

Start einer erfolgreichen Ausbildungszeit

weiterlesen...
Bürgerbüro ist am Montagvormittag geschlossen
Stadt Rietberg

Nachmittags wie gewohnt freie Sprechzeit Rietberg. Das Bürgerbüro der Stadt Rietberg bleibt am Montag, 26. August, in...

weiterlesen...

Neueste Artikel

Aufräumen nach Flutkatastrophe - Aussicht auf EU-Hilfe
Aus aller Welt

Die Pegelstände an der Elbe in Sachsen gehen langsam zurück. Im polnischen Breslau ist das Schlimmste noch nicht überstanden. Ursula von der Leyen verspricht EU-Hilfe und stellt viel Geld in Aussicht.

weiterlesen...
Wenn Menschen anderen Menschen Zeit schenken
Stadt Rietberg

Besuchsdienst für ältere Mitbürger in der Stadt Rietberg Rietberg. Menschen in Rietberg, die sich allein fühlen,...

weiterlesen...

Weitere Artikel derselben Kategorie

Aufräumen nach Flutkatastrophe - Aussicht auf EU-Hilfe
Aus aller Welt

Die Pegelstände an der Elbe in Sachsen gehen langsam zurück. Im polnischen Breslau ist das Schlimmste noch nicht überstanden. Ursula von der Leyen verspricht EU-Hilfe und stellt viel Geld in Aussicht.

weiterlesen...
Mode in Mailand: Von Superheldinnen bis Blütenpracht
Aus aller Welt

Wie wird die Damenmode in der Saison Frühjahr/Sommer 2025? Bei der Mailänder Fashion Week gibt es einen Vorgeschmack. Teils erinnern die Frauen auf dem Laufsteg an Heldinnen aus Comics.

weiterlesen...
ANZEIGE – Premiumpartner